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Veränderungen in der Berichterstattung: Die "Aktuelle Kamera"
Im Mai 1989 begann Ungarn seine Grenzbefestigungen zu Österreich abzubauen. In einem symbolischen Akt durchtrennte der ungarische Außenminister Gyula Horn am 27. Juni 1989 den Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Österreich. Als Folge dieser Grenzöffnung kam es in der DDR zu einer Fluchtwelle über die Grenze Ungarn/Österreich. In der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens „Aktuelle Kamera“ wurde auf diese Ereignisse nicht eingegangen. Erst am 22. Juli 1989 sendete die „Aktuelle Kamera“ eine Nachrichten-Verlese zur Mitteilung des Reisebüros der DDR und Jugendtourist „(…) das der Reiseverkehr zwischen der DDR und der Volksrepublik Ungarn ohne Einschränkungen verläuft. Anderslautende Meldungen aus den westlichen Medien sind verleumderisch.“

In der Berichterstattung des DDR-Fernsehens spiegelte sich zu diesem Zeitpunkt noch kritiklos die offizielle Argumentation der Staatsführung wider. So wurde der Bundesrepublik etwa vorgeworfen, durch organisierten Menschenhandel und den Bruch des Völkerrechts für die große Zahl von ausreisewilligen DDR-Bürgern verantwortlich zu sein.
Unbeeindruckt von den Ereignissen im Land, wurde der 40. Jahrestag der Gründung der DDR mit den gewohnten Staatsfeierlichkeiten begangen. Auf der Festveranstaltung im Zentralkomitee anlässlich des Jahrestages zitierte Erich Honecker eine Losung aus der Gründungszeit der DDR „Vorwärts immer – Rückwärts nimmer“. Er prangerte „Die zügellose Verleumdungskampagne, die derzeit international koordiniert gegen die DDR geführt wird (…)“ an. Zu den Feierlichkeiten anlässlich des 40. Jahrestages weilte auch Michail Gorbatschow in Berlin. Auf derselben Festveranstaltung im Zentralkomitee würdigte er zwar die Leistungen der DDR, betonte aber auch die Richtigkeit des von ihm angestrebten Reformkurses.
Während der offiziellen Staatsfeierlichkeiten am 7. Oktober 1989 demonstrierten Bürger am Alexanderplatz für die Notwendigkeit von Reformen in der DDR. In der Berichterstattung vom 8. Oktober informierte die „Aktuelle Kamera“ mit einer Sprachmeldung über die Festnahme der Demonstranten am Alexanderplatz: „Die Randalierer, die gemeinsam mit Medien aus der BRD republikfeindliche Parolen während der Volksfeste riefen, wurden durch die Polizei festgenommen.“

Reporter Olaf Dietze kommentierte in der gleichen Sendung: „Die Randalierer haben ins Visier genommen was hier aufgebaut wurde und aufgebaut wird, eben den Sozialismus (…)."
Die „Wende“ in der Berichterstattung der „Aktuellen Kamera“
Am 18. Oktober 1989 wählte das neunte Plenum des Zentralkomitees Egon Krenz einstimmig zum neuen Generalsekretär und verkündete den Rücktritt Erich Honeckers. Auch der ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda, Joachim Herrmann, quittierte seinen Dienst. Mit der folgenden Auflösung der Agitationskommission und der Abteilung für Agitation beim ZK der SED endete die zentral gesteuerte Anleitung der Massenmedien der DDR. Erstmals forderte Dagmar Mielke in einem Kommentar über die Demonstrationen in der „Aktuellen Kamera“ vom 22. Oktober 1989, in der Zukunft verstärkt die eigene journalistische Sicht in die Beiträge einfließen zu lassen.
Bereits am 21. November 1989 erklärte die SED-Kreisleitung im Fernsehen der DDR geschlossen ihren Rücktritt. Nach 35 Dienstjahren räumte auch Heinz Adameck, der Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Fernsehen, an diesem Tag seinen Posten.
Auf Weisung von DDR-Ministerpräsident Hans Modrow beschloss der Ministerrat am 30. November 1989 die grundsätzliche Auflösung der Staatlichen Komitees für Rundfunk (1) und Fernsehen. Modrow setzte zudem neue Generalintendanten für Fernsehen und Rundfunk zum 1. Dezember 1989 ein: Hans Bentzien und Manfred Klein.
Mit der Auflösung der Abteilung für Agitation im ZK der SED und dem Wechsel der Führungsspitze im Rundfunk und Fernsehen der DDR wurden gänzlich neue Voraussetzungen für eine unabhängige Berichterstattung geschaffen.
Am Tag der Maueröffnung, am 9. November 1989, informierte die „Aktuelle Kamera“ noch zurückhaltend sachlich von der „Regelung des neuen Reisegesetzes“. Günter Schabowski hatte diese auf der Pressekonferenz des ZK der SED verlesen ohne die Sperrfrist der Meldung zu beachten, die auf den 10. November festgelegt war. In der Hauptausgabe der "Aktuellen Kamera" um 19.30 Uhr und in der Spätausgabe wurde zwar vermeldet, dass die neue Reiseregelung "ab sofort" in Kraft träte. Von einer Grenzöffnung war jedoch nicht die Rede.
Im Februar 1990 wurde mit dem Beschluss der Volkskammer der DDR zur Medienfreiheit auch der gesetzliche Rahmen für einen unabhängigen Journalismus unter Bedingungen der Pressefreiheit geschaffen. Mit dem Gesetz zur Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit in der DDR war das DDR-Fernsehen nun auch offiziell unabhängig von der Regierung der DDR.
Günter Maleuda, Präsident der Volkskammer, rief am 5. Februar 1990 den Tagesordnungspunkt zu dem neuen Gesetz auf.
Die Volkskammer beschloss darüber hinaus die Konstituierung eines Medienkontrollrates, der dafür sorgen sollte, dass die Unabhängigkeit der DDR-Medien auch in Zukunft gewährleistet bleiben sollte. Der Medienkontrollrat konstituierte sich am 13. Februar 1990. Ihm gehörten 23 Repräsentanten der Parteien und Gruppierungen des Runden Tisches, der Volkskammerfraktionen, der Kirchen und der Regierung der DDR an.
Die Teilnahme von Vertretern der Volkskammerfraktionen wurde in einer Ergänzung zum Beschluss der Volkskammer zum Mediengesetz hinzugefügt und konnte am 5. Februar 1990 mehrheitlich abgestimmt werden. Günter Maleuda rief zur Abstimmung über das Gesetz auf, das ohne Gegenstimmen angenommen wurde.
Die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ veränderte sich im Jahr 1990 inhaltlich weiter und auch in ihrer Sendungsstruktur und Präsentationsform gab es Neuerungen.
Der Sendetitel der Hauptausgabe der Nachrichten wurde im März 1990 in „AK am Abend“ geändert.

Nachfolgend startete eine Mittagsausgabe der Nachrichten, mit dem Titel „AK am Mittag“. Aus der ersten Tagesausgabe der Aktuellen Kamera wurde die „AK am Morgen“, die in einer verkürzten Fassung von 15 Minuten präsentiert wurde.
Die inhaltlich redaktionellen Veränderungen in der „Aktuellen Kamera“ spiegelten sich deutlich in der Zuschauerresonanz wieder. Die Sehbeteiligung wurde neben der Bewertung von Sendungen in der Abteilung Zuschauerforschung beim DDR-Fernsehen dokumentiert. Aus diesen Unterlagen stammen folgende vergleichende Zahlen der Sehbeteiligung der Sendung „Aktuelle Kamera“ und „AK am Abend“.
Sehbeteiligung der „Aktuellen Kamera“, Hauptausgabe, am 18. und 19. März 1989:
18.03.1989: 5,1 %
19.03.1989: 10,0 %
Im Unterschied dazu die Sehbeteiligung der „AK am Abend“ am 18. und 19. März 1990:
18.03.1990: 34,0 %
19.03.1990: 40,0 %
Ausblick
Die politischen Ereignisse in der DDR im Herbst 1989 hatten sich massiv auf das DDR-Fernsehen und seine Berichterstattung in der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ ausgewirkt. Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen hatte auch hier ein Demokratisierungsprozess eingesetzt.
Mit Wirkung des Einigungsvertrags vom 3. Oktober 1990 verlor der DFF seine öffentlich-rechtliche Eigenständigkeit. Am 14. Dezember 1990 lief die Hauptnachrichtensendung „AK am Abend“ zum letzten Mal im Deutschen Fernsehfunk. Ab dem 15. Dezember sendete die ARD auf den Frequenzen des bisherigen 1. Programms des DFF. DFF1 und DFF2 wurden als Länderkette zusammengefasst. Die Nachrichtensendung um 19.30 Uhr trug nun den Namen "Aktuell". Bis zur Einstellung des Sendebetriebs des Deutschen Fernsehfunks am 31. Dezember 1991 versorgte das Nachrichtenformat die Zuschauer täglich mit aktuellen Nachrichten.
Literatur
Bösenberg, Jost Arend: Die Aktuelle Kamera (1952-1990). Lenkungsmechanismen im Fernsehen der DDR, Potsdam 2004.
(1) In der DDR wurde der Hörfunk abweichend zu der in der Bundesrepublik üblichen Benennung als „Rundfunk der DDR“ bezeichnet.
(ue)