Die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit
Mit dem Staatssicherheitsdienst stand der SED ein umfassendes Machtinstrument zur Überwachung der DDR-Bevölkerung zur Verfügung. Unter dem Druck von Bürgerkomitees begann nach dem Fall der Mauer die Auflösung des Stasi-Kontrollapparates. Die vor der Vernichtung geretteten Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wurden nach der Wiedervereinigung an den „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ übergeben.
Seit 1950 verfügte die DDR über einen Geheimdienst, den so genannten Staatssicherheitsdienst (Stasi). Neben der Zentrale in Ost-Berlin, dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), gab es Bezirks- und Kreisverwaltungen sowie weitere Dienststellen auf regionaler und lokaler Ebene. Zum einen war die Stasi als „Schild und Schwert“ der SED für die Auslandsspionage zuständig. Zum anderen verfolgte sie aber auch die politischen Gegner im eigenen Land. Sie verfügte hierfür über ein großes Netz an hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern.
Mit der Flucht von Millionen DDR-Bürgern im Sommer 1989, den beginnenden Demonstrationen und politischen Aktionen von Regimekritikern, dem Rücktritt des DDR-Ministerrates am 7. November 1989 und der ungeplanten Öffnung der Staatsgrenzen am 9. November 1989 verlor die Stasi zunehmend die Kontrolle über die politische Entwicklung in der DDR.
Am 13. November 1989 versuchte Erich Mielke, ehemaliger Minister für Staatssicherheit, in der Volkskammer auf kritische Fragen der Abgeordneten zu antworten. Sein grotesker Versuch, das Überwachungssystem zu rechtfertigen, glich einer Bankrotterklärung des Ex-Stasi-Chefs.
Es gab zunächst keine Bestrebungen seitens der DDR-Regierung, die Stasi aufzulösen. Am 17. November 1989 verkündete der neu gewählte Ministerpräsident Hans Modrow in seiner Regierungserklärung die Errichtung eines Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) anstelle des Ministeriums für Staatssicherheit. Bürgerrechtler, wie Hartmut Mechtel vom Neuen Forum, kritisierten öffentlich die bloße Umbenennung des Ministeriums:
„Eine der ersten Maßnahmen der neuen Regierung war es, das Ministerium für Staatssicherheit in Amt für Nationale Sicherheit umzubenennen. Was nutzt das Umbenennen, wenn hinter dem neuen Bild Nasi die alte Stasi sitzt?“
Vor allem befürchtete die Bevölkerung, dass die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes ungehindert Beweismaterial vernichten könnten. Am 4. Dezember 1989 besetzten Bürger deshalb mehrere Bezirks- und Kreisämter des Amtes für Nationale Sicherheit in Erfurt, Leipzig, Suhl und Rostock.
Am 6. und 7. Dezember 1989 fand unter Anwesenheit von Pressevertretern auch eine Begehung der Zentrale in Berlin durch Bürgerrechtler statt. Dadurch wollte das Amt Vertrauen in der Bevölkerung gewinnen, wie der Pressesprecher des AfNS, Stephan Roahl, erklärte:
„Mit dem Willen, Transparenz und Offenheit zu zeigen, und vor allen Dingen zu demonstrieren, dass das neu geschaffene Amt für Nationale Sicherheit einer neuen Sicherheitsdoktrin auch folgen will, ist heute diese spontane Aktion gelaufen. Und ich kann sagen, dass zumindestens meinerseits, also seitens des Pressesprechers, und abgestimmt mit dem Leiter des Amtes, Herrn Dr. Schwanitz, natürlich das Bemühen da war, diese Transparenz auch zu zeigen.“

Margitta Hinze, die Sprecherin der Bürgergruppe, zog nach dem Rundgang folgendes Fazit:
„Erreicht haben wir, dass wir eben hinein konnten und Sachen ansehen konnten. Uns ist bewusst, dass dies zum großen Teil nur ein symbolischer Akt gewesen ist. Klar ist auch geworden, dass wir in den sachlichen Bereichen immer wieder auf Inkompetenz oder Nicht-Wissen gestoßen sind.“
Im Februar 1990 sendete das DDR-Fernsehen eine Dokumentation über die Struktur und Arbeitsweise des MfS. Im Laufe des Jahres 1990 wurden dann viele weitere Details über die Praktiken des MfS bekannt. So erfuhr die Öffentlichkeit im Juni 1990 von den Plänen der Stasi, Isolierungslager für oppositionelle DDR-Bürger einzurichten. Auch die Zusammenarbeit zwischen dem MfS und Mitgliedern der Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) wurde aufgedeckt. Schließlich entstand im August 1990 ein kritisches Porträt über den ehemaligen Stasi-General Gerhard Neiber, in dem er sich selbst über die zukünftige Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern äußerte:
„Ich bin der Auffassung, dass eine Unterstützung der entsprechenden beauftragten Kräfte zur Aufarbeitung der Vergangenheit erfolgen muss, wobei, wie ich vorhin schon sagte, die Quellen geschützt werden müssen. Und um eben Schlussfolgerungen zu ziehen, die gewährleisten, dass nicht in der weiteren Folge neue, oft undifferenzierte Verurteilungen erfolgen, auch, nicht, gestützt auf neue Enthüllungen.“
Der Anspruch, den Staat vor politischen Gegnern zu „schützen“, hatte sich bei den ehemaligen MfS-Befehlshabern umgewandelt in ein Bedürfnis nach Schutz der ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit.
Mit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 war der Prozess der Auflösung der Staatssicherheit nicht abgeschlossen. Aber die grundlegenden Strukturen des Überwachungsapparates waren zerschlagen und ein Großteil der Stasi-Unterlagen war vor der Vernichtung gerettet worden. Die überlieferten Unterlagen des MfS befinden sich heute in der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstesder ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU).

Literatur
Bahrmann, Hannes; Links, Christoph: Chronik der Wende. Die DDR zwischen 7. Oktober und 18. Dezember 1989, Berlin 1994.
Bahrmann, Hannes; Links, Christoph: Chronik der Wende. 2. Stationen der Einheit. Die letzten Monate der DDR, Berlin 1995.
Fricke, Karl Wilhelm: MfS intern. Macht, Strukturen, Auflösung der DDR-Staatssicherheit, Köln 1991.
Richter, Michael: Die Staatssicherheit im letzten Jahr der DDR. Weimar, Köln, Wien 1996.
Schöne, Jens: Erosion der Macht. Die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin, Berlin 2004.
Süß, Walter: Staatssicherheit am Ende. Warum es den Mächtigen nicht gelang, 1989 eine Revolution zu verhindern, Berlin 1999.
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