Die deutsche Wiedervereinigung
Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 distanzierte sich die Regierung der DDR zunächst von Überlegungen zu einer deutschen Wiedervereinigung. Die wirtschaftliche und politische Lage in der DDR wurde jedoch zunehmend instabil. Bei der Volkskammerwahl im März 1990 gab die Bevölkerung der DDR ein deutliches Votum für eine Wiedervereinigung Deutschlands ab. Die Bundesrepublik und die DDR unterzeichneten in der Folge zwei Staatsverträge, die die innenpolitische Wiedervereinigung regelten: der Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und der Einigungsvertrag. Die außenpolitischen Aspekte regelte der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“. Mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 trat die deutsche Wiedervereinigung in Kraft.
Die Wiedervereinigungspolitik von Bundeskanzler Kohl
Überraschend für das In- und Ausland, stellte Helmut Kohl bereits am 28. November 1989 vor dem Deutschen Bundestag sein „Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas“ vor. Damit wollte Kohl unter anderem der neuen politischen Situation ein strategisches Konzept liefern und mit einem klaren Bekenntnis zur deutschen Einheit Modrows bereits diskutiertem Vorschlag zur „Vertragsgemeinschaft“ eine Alternative entgegenhalten.
Kohls Stufenplan fand in der DDR ein geteiltes Echo. Hans Modrow nahm einzelne Punkte positiv auf, lehnte aber nach wie vor eine Wiedervereinigung kategorisch ab.
Im Ausland reagierte man mit Skepsis auf das Zehn-Punkte-Programm. Übereinstimmend wurde die fehlende Garantie der Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze bemängelt. Die polnische Regierung forderte zudem als Nachbar ein Mitspracherecht bei allen weiteren Entwicklungen in Deutschland. Die UdSSR erklärte, nicht auf die sicherheitspolitische Schlüsselrolle der DDR zu verzichten. Die Westmächte zeigten sich verärgert über Kohls Alleingang.
Helmut Kohl fühlte sich in seinem Bestreben zur deutschen Wiedervereinigung jedoch bestätigt, als er am 19. Dezember 1989 in Dresden vor der Frauenkirche eine Ansprache an die Bevölkerung hielt und die Menschen in der Menge ihren Wunsch nach Wiedervereinigung verlautbarten. Kohl war dorthin gereist, um mit Hans Modrow Verhandlungen über eine deutsch-deutsche Vertragsgemeinschaft zu führen.

Die politische Lage in der DDR
Die DDR-Regierung war nach dem Mauerfall immer weniger in der Lage, die wirtschaftliche und politische Stabilität zu gewährleisten. Hans Modrow ließ sich aus diesem Grund auf eine Zusammenarbeit mit den neuen politischen Kräften im Land ein. Am 28. Januar 1990 beschlossen Modrow und die Vertreter des Runden Tisches eine gemeinsame Regierung zu bilden, die sie „Regierung der nationalen Verantwortung“ nannten. Zusammen einigten sie sich auf der gleichen Sitzung, die Volkskammerwahlen vom 6. Mai auf den 18. März vorzuziehen.
Dies zeigte, wie dringend politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entscheidungen gefällt werden mussten, die jedoch von einer demokratisch legitimierten Regierung ausgehen mussten.
Modrows Konzept „Deutschland einig Vaterland“
Nachdem Modrow am 30. Januar 1990 in Moskau mit Gorbatschow über eine mögliche deutsche Wiedervereinigung gesprochen hatte, in die Gorbatschow prinzipiell einwilligte, gab Modrow am 1. Februar 1990 eine Pressekonferenz, auf der er sich mit seinem Konzept „Für Deutschland einig Vaterland“ nunmehr zur Deutschen Einheit bekannte:
"Deutschland soll wieder einig Vaterland aller Bürger deutscher Nation werden. Damit von ihm nie mehr Gefahr für Leben und Gut seiner Nachbarn ausgeht, sind Verantwortungsbewusstsein, Behutsamkeit und Verständnis für das Machbare und für Europa Ertragbare erforderlich."
Die Volkskammerwahl am 18. März 1990
Die Volkskammerwahl bedeutete zum einen, dass die DDR nun erstmals eine demokratisch legitimierte Regierung hatte und damit auch international als Gesprächspartner akzeptiert wurde, was ein wichtiger Aspekt für die anstehenden Zwei-plus-Vier-Gespräche war. Zum anderen bestätigte sich in dem Wahlausgang der Wunsch eines großen Teils der Bevölkerung nach einer raschen Wiedervereinigung. Die konservative „Allianz für Deutschland“ – bestehend aus CDU, Deutscher Sozialer Union und Demokratischer Aufbruch – gewann mit 48,15 Prozent die Wahl. Das Wahlbündnis hatte im Wahlkampf ausdrücklich eine schnelle Wiedervereinigung auf ihr politisches Programm gesetzt.
Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion
In einem ersten Schritt sollten die Lebensbedingungen in der DDR denen der Bundesrepublik angeglichen werden.
Am 27. April trafen sich Regierungsvertreter der DDR und der Bundesrepublik in Ost-Berlin zu offiziellen Verhandlungen zum deutsch-deutschen Staatsvertrag über eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.
Die DDR sollte in das System der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik eingegliedert werden. Dabei legte der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion den Rahmen und die Bedingungen für die wirtschaftliche Einheit Deutschlands fest. Er wurde am 18. Mai 1990 durch die Finanzminister Walter Romberg (DDR) und Theodor Waigel (BRD) unterzeichnet.

Helmut Kohl ging anlässlich der Unterzeichnung auf die historische Bedeutung dieses Staatsvertrags ein:
"Dies ist eine historische Stunde im Leben der deutschen Nation. Wir sind zusammen gekommen, um nach 45 Jahren der schmerzlichen Teilung unseres Vaterlandes ein Vertragswerk zu unterzeichnen, mit dem wir den ersten bedeutsamen Schritt zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands vollenden. Es ist eine glückliche Stunde, in der sich Hoffnung und Sehnsucht der Menschen in Deutschland erfüllen. Nach Jahrzehnten beginnt ein Traum Wirklichkeit zu werden. Der Traum von der Einheit Deutschlands, aber auch der Traum von der Einheit Europas."
Lothar de Maizière unterstrich die Unumkehrbarkeit der deutschen Wiedervereinigung durch die Unterzeichnung des Staatsvertrags:
„Dies ist heute für uns ein wichtiger Tag. Es beginnt die tatsächliche Verwirklichung der Einheit Deutschlands. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion macht den Einigungsprozess unumkehrbar. Was wir heute tun, ist ein entscheidender Schritt auf unser Ziel hin, in Freiheit die Einheit Deutschlands in einer europäischen Friedensordnung zu vollenden. Der Staatsvertrag ist ein Vertrag zwischen den beiden Regierungen in Deutschland. Von seiner Substanz nach zeigt er, dass beide Regierungen gewillt sind, den Prozess der Einigung nicht von oben zu gestalten. Das Zusammenwachsen des geteilten Deutschlands beginnt vielmehr bei den Menschen und ihren Lebensverhältnissen.“
Der Einigungsvertrag
Am 6. Juli begannen in Ost-Berlin die Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag, dem Einigungsvertrag, der den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland festlegte. Ferner bestimmte er, dass die Bundesrepublik das DDR-Vermögen übernehmen und für die Schulden der DDR haften sollte. Berlin wurde zur Hauptstadt des vereinten Deutschlands erklärt.
Am 31. August wurde der Vertrag zwischen der DDR und der BRD über die Herstellung der Einheit Deutschlands im Kronprinzenpalais in Ost-Berlin von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Ministerpräsident Günther Krause unterzeichnet.
Die Zwei-plus-Vier-Gespräche
Während die beiden Staatsverträge zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausgehandelt und verabschiedet wurden, mussten auch die außenpolitischen Aspekte der deutschen Wiedervereinigung geregelt werden. Die beiden deutschen Regierungen konnten sich mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs darauf einigen, dass die außenpolitische Dimension im Rahmen von Gesprächsrunden der beteiligten Außenminister Hans-Dietrich Genscher (BRD), Markus Meckel (DDR, nach seinem Rücktritt im August vertreten durch Lothar de Maizière), James Baker (USA), Douglas Hurd (GB), Roland Dumas (Frankreich) und Eduard Schewardnadse (UdSSR) verhandelt würden.
Insgesamt fanden vier Treffen im Rahmen der so genannten Zwei-Plus-Vier-Gespräche statt.
In der abschließenden Runde der Zwei-plus-Vier-Gespräche am 12. September 1990 wurde der "Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland" von den Außenministern der vier Siegermächte, der BRD und der DDR in Moskau im Beisein des sowjetischen Präsidenten, Michail Gorbatschow, unterzeichnet. Somit waren auch die außenpolitischen Hürden genommen und der deutschen Wiedervereinigung stand nichts mehr im Weg.

Literatur
Kowalczuk, Ilko-Sascha: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München 2009.
Neubert, Ehrhart: Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989/90, München 2008.
Schöne, Jens: Die friedliche Revolution. Berlin 1989/90 - Der Weg zur deutschen Einheit, Berlin 2008.
(ks/jw)