Neue Parteien
Aus einigen Bürgerbewegungen und oppositionellen Gruppen des Herbstes 1989 formierten sich bereits gegen Ende des Jahres 1989 neue politische Parteien in der DDR. Die Sozialdemokratische Partei gründete sich schon am 7. Oktober 1989. Derpolitische Umbruch ermöglichte im Jahr 1990 die Bildung weiterer demokratischer Parteien in der DDR: der Demokratische Aufbruch, die Deutsche Soziale Union oder die Grüne Partei der DDR.
Im Sommer und Herbst 1989 machte die massenhafte Ausreise von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik Deutschland die Krise in der DDR deutlich. In der Hoffnung auf einen politischen Wandel, formierten sich 1989 verschiedene oppositionelle Gruppen, um an dem unvermeidlich erscheinenden Veränderungsprozess teilhaben zu können. Zunächst scheiterten, wie im Falle des Neuen Forums (NF), die Bemühungen dieser Gruppierungen an der Weigerung der DDR-Behörden, sie offiziell anzuerkennen. Nach einem Richtungswechsel in der Politik der Partei- und Staatsführung der DDR im Laufe des Herbstes 1989 wurden die neuen politischen Bewegungen aber als Gesprächspartner offiziell akzeptiert.
Manche der Gruppierungen, wie das Neue Forum, entschieden sich bewusst dafür, eine Bürgerbewegung zu bleiben, andere, wie die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP), wurden von Beginn an als Parteien gegründet. Der Demokratische Aufbruch konstituierte sich im Laufe des Jahres aus einer Bürgerbewegung zu einer Partei, weil die Mitglieder der Meinung waren, als Teil des politischen Systems besser an der Willensbildung mitwirken zu können.
In der politischen Diskussionsrunde „Donnerstag-Gespräch“ am 28. Dezember 1989 stellten Mitglieder die neu gegründeten Parteien im Fernsehen der DDR vor und erläuterten ihre Ziele. Marianne Dörfler, die Sprecherin der Grünen Partei der DDR erklärte, es gehe den Grünen um den Erhalt der Lebensgrundlagen: „Ökologische Fragen durchdringen sämtliche Bereiche des Lebens“ wie die Wirtschaft, Erziehungs- und Bildungspolitik, Frauenpolitik und das Gesundheitswesen. Um die natürlichen Lebensgrundlagen auch für kommende Generationen zu sichern, seien die Grünen für eine Wirtschaftsreform mit ökologisch begründeten Preisen und gegen eine Wegwerfgesellschaft nach westlichem Vorbild.
Für den Demokratischen Aufbruch sprach der stellvertretende Vorsitzende Erhart Neubert und erläuterte, dass ein wichtiges Ziel der Partei die Liberalisierung der Politik und der Wirtschaft sei. Der Demokratische Aufbruch sei eine soziale und ökologische Partei und das Spektrum der Mitglieder erstrecke sich von ökologisch bis liberal konservativ. Man habe sich als Partei konstituiert, um die Veränderungen in der DDR verantwortlich mitgestalten zu können.
Die Sozialdemokratische Partei in der DDR
Die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP) gründete sich am 7. Oktober 1989, am Tag der Feiern zum 40. Jahrestag der DDR, heimlich in Schwante bei Berlin. Unter den Gründungsmitgliedern befanden sich zahlreiche Theologen, so zum Beispiel Steffen Reiche, Martin Gutzeit und der spätere Außenminister im Kabinett de Maizière, Markus Meckel.
Im DDR-Fernsehen wurde über die SDP jedoch erst viel später berichtet. Weil das Fernsehen unter direkter Anleitung des für Agitation und Propaganda zuständigen Sekretärs des Politbüros der SED, Joachim Herrmann, stand, fanden die neuen politischen Kräfte zunächst kaum Erwähnung in diesem Medium.
Am 22. November 1989 hieß es schließlich in einer Verlese der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“, dass der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky einen Staatsbesuch in der DDR plane und dabei unter anderem Vertreter der SDP zu treffen beabsichtige.
In diese Zeit fiel auch der Vorwurf, Ibrahim Böhme, der Vorsitzende der SPD, sei langjähriger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen. Am 2. April 1990 trat er von allen Ämtern zurück, obwohl er noch eine Woche zuvor in einer Pressekonferenz alle Vorwürfe dementiert hatte:
„Persönlich erkläre ich, dass ich zu keinem Zeitpunkt und über keine Person für das Ministerium für Staatssicherheit, in dem Ministerium für Staatssicherheit oder mit dem Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet, oder wissentlich Informationen an dieses weitergegeben habe“.
Markus Meckel, amtierender Parteivorsitzender, äußerte sich zunächst zu den Vorwürfen:
„Was hier stattfindet, ist eine Fortsetzung von Staatssicherheitsmethode. Wir haben zehn Jahre damit gelebt, dass Menschen in unserem näheren Umfeld durch Anschuldigungen und Gerüchte destabilisiert werden. Mein klares Votum auch in der Vergangenheit war, lieber von einem Freund enttäuscht werden, als ihm zu misstrauen“.
Der Demokratische Aufbruch
Am 21. November 1989 wurde in der „Aktuellen Kamera“ über den Demokratischen Aufbruch (DA) berichtet. Hier hieß es, dass BRD-Kanzleramtsminister Rudolf Seiters bei Gesprächen in Berlin unter anderem Vertreter der Bürgerbewegung getroffen habe.
Als Partei gründete sich der Demokratische Aufbruch am 16./17. Dezember 1989 in Leipzig, nachdem er zuvor schon als Bürgerbewegung existiert hatte. Zu den Mitgliedern gehörten Wolfgang Schnur, Friedrich Schorlemmer, Rudi Pahnke, Erhart Neubert sowie der spätere Verteidigungsminister der DDR Rainer Eppelmann und der spätere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Günter Nooke.
In einem Interview während des Gründungsparteitages vom 16./17. Dezember 1989 antwortete Friedrich Schorlemmer auf die Frage einer Journalistin zum Ziel dieses Parteitages:
„Eine Selbstklärung, denk’ ich, ob wir eine Partei werden, die mehr gelbe und blaue Farben hat, vielleicht auch schwarze dabei oder mehr rote und grüne. Die Selbstklärung ist, glaube ich, noch nicht vollzogen. Wir waren einmal mit etwas anderem angetreten, als wir jetzt in der Öffentlichkeit erscheinen. Es ist nicht ganz klar, was der Demokratische Aufbruch will, also, eine Sammelbewegung für alles, also eine Kraut- und Rüben-Partei? Also dass muss jetzt geklärt werden, denke ich. Ja, und möglicherweise kommt es ja auch zu dem ersten großen demokratischen Krach hier, mal sehen."

Noch bevor sich der DA zu einer Partei formierte, stand die Forderung nach einer sozialistischen Gesellschaftsordnung auf demokratischer Basis im Vordergrund ohne die Zweistaatlichkeit Deutschlands in Frage zu stellen. Doch bereits im Vorfeld des Parteitages entbrannte im DA ein Streit um die Sozial-, Wirtschafts- und Deutschlandpolitik. Zunehmend entwickelten sich die Parteiziele in eine liberal-konservative Ausrichtung.
Nach heftigen Debatten mit sprachlichen Entgleisungen verabschiedete der DA ein Programm, in dem sich die Partei zur sozialen Marktwirtschaft und zur deutschen Einheit bekannte. Wolfgang Schnur, der nur knapp einen Misstrauensantrag überstand, wurde im zweiten Wahlgang als Vorsitzender bestätigt. Rudi Pahnke verlies daraufhin den Saal.
Die konservative Ausrichtung des DA führte dazu, dass einige Mitglieder des „linken“ Flügels aus der Partei austraten. Rudi Pahnke verlies noch im Dezember den DA, Anfang Januar folgten weitere Mitglieder des „linken“ Flügels um Friedrich Schorlemmer, der zur SDP wechselte.
Die Deutsche Soziale Union (DSU)
Am 20. Januar 1990 gründeten in Leipzig zwölf christliche, liberale und konservative Gruppen die Deutsche Soziale Union (DSU). Am Anfang positionierte sich die DSU zwischen der CSU und der CDU der Bundesrepublik. Mitbegründer waren unter anderem Peter-Michael Diestel, Hans-Wilhelm Ebeling und Hansjoachim Walther. Zum Vorsitzenden wurde Hans-Wilhelm Ebeling und zum Generalsekretär Peter-Michael Diestel gewählt.
Nach der Volkskammerwahl löste sich die DSU am 11. April 1990 wieder aus der Allianz für Deutschland.
Wegen zunehmenden rechtsradikalen Tendenzen innerhalb der DSU traten auf dem ersten ordentlichen Parteitag vom 30. Juni bis 1. Juli 1990 die Minister Diestel und Ebeling aus der DSU aus und wechselten zur CDU.
Bei den Landtagswahlen im Herbst 1990 erzielte die DSU lediglich noch zwischen 0,9 Prozent und 4,5 Prozent der Stimmen und konnte auch fortan keine deutlich höheren Wahlergebnisse auf Landesebene mehr erzielen.

Die Grüne Partei in der DDR
Die offizielle Gründung der Grünen Partei erfolgte am 24. November 1989 in Ost-Berlin. Tags zuvor hatten sich auf dem 6. Berliner Ökologieseminar Teile der vorher nur locker organisierten grünen Bewegung der DDR konstituiert, um aktiver und mit mehr politischem Gewicht an den sich anbahnenden Veränderungen in der DDR teilnehmen zu können. Die Grünen waren eine junge Partei, deren Mitglieder zum Teil schon seit mehreren Jahren im Umwelt- und Naturschutz engagierten. Bekannte Mitglieder waren der spätere Ministerpräsident von Brandenburg Matthias Platzeck und die heutige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler.

Das Wahlbündnis erreichte bei den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 1,97 Prozent Stimmanteil und damit acht Mandate. Innerhalb des Bündnisses kam es zum Streit um die Verteilung der Sitze. Alle Mandate fielen an die Grüne Partei. Der UFV zog sich daraufhin aus dem Wahlbündnis zurück. Die „AK zwo“ berichtete am 26. März über die Pressekonferenz, in der das Problem der Mandatsverteilung Thema war.
Die Grüne Partei bildete in der Volkskammer mit dem Bündnis 90 eine gemeinsame Fraktion.
Anfang September 1990, auf dem Sonderparteitag der Grünen Partei in Magdeburg, erfolgte die Umbenennung der Partei in „Die Grünen“. Es wurde der Beschluss gefasst, am 3. Dezember einen gemeinsamen Bundesverband mit der Partei „Die Grünen“ der Bundesrepublik zu bilden.
Der BFD stellte drei Minister im Kabinett de Maizière: Manfred Preiß als Minister für Regionale und Kommunale Angelegenheiten, Axel Viehweger als Minister für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft und Kurt Wünsche als Justizminister.
Die Beteiligung des Bundes Freier Demokraten an der Regierung de Maizière verlief nicht ohne Konflikte. Am 24. Juli trat der BFD aus der Regierungskoalition aus, weil keine Einigung über den Beitrittstermin der DDR zur BRD und über den künftigen Wahlmodus erzielt wurde. Ihre Minister zog die Partei jedoch nicht zurück.
Auf personeller Ebene kam es zu Diskussionen um Justizminister Kurt Wünsche. Er war aufgrund seiner Vergangenheit als Minister der Justiz der DDR ein umstrittener Funktionsträger in der neuen DDR-Regierung. Wünsche trat am 3. Juli aus seiner Partei aus und führte bis zu seiner Entlassung am 16. August durch Ministerpräsident Lothar de Maizière parteilos sein Amt weiter.
Die Parteien BFD, F.D.P. und DFP bildeten in der Volkskammer die Fraktion der Liberalen. F.D.P. und DFP bestanden darauf, als eigenständige Parteien fort zu bestehen. Damit blieb die Trennung von ehemaliger Blockpartei und neuer politischer Kraft erhalten. Dies änderte sich am 11./12. August 1990 mit dem Beitritt der drei liberalen Parteien zur westdeutschen FDP auf dem FDP-Parteitag in Hannover.
Bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen am 2. Dezember 1990 erreichte die FDP 11 Prozent Stimmanteil und blieb damit als Koalitionspartner der CDU in der Regierung.
Sonstige Parteien
Im Januar 1990 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wieder gegründet. Ein prominentes Mitglied war der aus der SED ausgeschlossene Erich Honecker, aber auch der Chefkommentator des ehemaligen DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, und der 1957 als Revisionist verurteilte Wolfgang Harich schlossen sich der KPD an, die jedoch nur geringe Bedeutung erlangte. Die Partei sah sich in den Traditionen der KPD von Liebknecht und Luxemburg und bekannte sich ohne Einschränkungen zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und zur kommunistischen Gesellschaft. Im Vorfeld der Volkskammerwahl stellte sich die KPD in eigener Sache im Fernsehen vor.
Zur Wahl am 18. März trat auch eine Listenvereinigung von mehreren Jugendverbänden AJL an. Auf der Liste kandidierten die Deutsche Jugendpartei (DJP), die Grüne Jugend (GJ), die Marxistische Jugendvereinigung Junge Linke (MJV) und auch die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Außerdem traten der Bund Sozialistischer Arbeiter – Deutsche Sektion der 4. Internationale, die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD) und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) an. Diese linken und linksextremen Gruppen konnten bei den Wahlen nur wenige Stimmen auf sich vereinen.
Eine der neuen Parteien war auch die eher skurrile Deutsche Biertrinker Union (DBU), die von Rostocker Studenten gegründete erste Spaßpartei auf dem Gebiet der DDR. Beim Wähler kam diese Partei allerdings nicht sonderlich gut an, lediglich 2.534 Stimmen erhielten sie am 18. März. In der Unterhaltungssendung „Im Krug zum grünen Kranze" vom 2. Oktober 1990 hatten Vertreter der Biertrinker Union die Gelegenheit, ihre Ziele zu erläutern.
Literatur
Decker, Frank; Neu, Viola: Handbuch der deutschen Parteien, VS Verlag 2007.
Dowe, Dieter (Hg.): Von der Bürgerbewegung zur Partei. Die Gründung der Sozialdemokratie in der DDR, Diskussionsforum im Berliner Reichstag am 7. Oktober 1992 (Gesprächskreis Geschichte 2), Bonn 1992.
Grashoff, Udo (Hrsg.): Der Demokratische Aufbruch, Erfurt 2004.
Neubert, Erhart: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989 (Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin 1997.
Stephan, Gerd-Rüdiger u.a. (Hg.): Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, Berlin 2002.
(ks/cj)