Deutsch-deutsche Sportereignisse im Jahr 1990
Sport hatte in der DDR eine besondere Bedeutung. Er wurde politisch instrumentalisiert, um die Außendarstellung sowie das Selbstbild des Landes durch die Erfolge der DDR-Auswahl zu verbessern. Die international erfolgreichen Sportler galten als Aushängeschild der DDR.
Deutsch-deutsche Begegnungen gab es im Sport während des Kalten Krieges nur vereinzelt. Der Mauerfall eröffnete ganz neue Möglichkeiten des innerdeutschen Austauschs und des sportlichen Wettstreits. Viele Wettkämpfe und Sportereignisse in unterschiedlichen Disziplinen konnten 1990 erstmals mit Teilnehmern aus beiden Teilen Deutschlands stattfinden.
Parallel dazu wurden Sportveranstaltungen ausgetragen, bei denen letztmalig zwei deutsche Staaten ihre Teams an den Start schickten.
Das Fußballjahr 1990 begann mit einem ganz besonderen Wiedersehen in Berlin. Am 27. Januar 1990 kam es im Berliner Olympiastadion zum ersten Aufeinandertreffen der Berliner Traditionsvereine Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin nach 28 Jahren. Sieger des Spiels wurde der Westverein Hertha BSC mit 2:1.
Sportlich präsentierten sich am 21. September 1990 auch die Mitglieder der Volkskammer und des Bundestages, die bei einem Fußball-Benefizspiel gegeneinander antraten. Trotz prominenter Beteiligung fand das Spiel vor nur spärlich besetzten Zuschauerrängen statt. Der Endstand betrug 2:2 und wurde vom Schiedsrichter Walter Eschweiler mit folgenden Worten kommentiert:
„Also ich würde sagen, es ist ein gerechtes Ergebnis. Die erste Halbzeit geht klar an die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland, die zweite Halbzeit geht an die Mannschaft der DDR, und ich denke, schiedlich-friedlich haben sie sich 2:2 getrennt. Das war sportives Fußballspiel, so möchten wir es haben. Wie gut, dass wir jetzt alle wieder zusammen sind (…)“
Auf nationaler Verbands-Ebene kam es gegen Ende des Fußball-Jahres 1990, am 20. November, zu einem bedeutenden Einschnitt. Der Deutsche Fußball-Verband der DDR (DFV) löste sich auf und wurde zeitgleich als Regionalverband Nordostdeutscher Fußballverband (NOFV) neu gegründet.
Im Rahmen eines außerordentlichen Bundestags des Deutschen Fußballbundes (DFB) in Leipzig stellte der neu gewählte Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbands (NOFV), Hans-Georg Moldenhauer, am 21. November 1990 im Namen seines Verbands den Antrag auf Aufnahme als ordentliches Mitglied in den Deutschen Fußball-Bund.
Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen und Hans-Georg Moldenhauer zum neuen Vize-Präsidenten an der Seite des Präsidenten Hermann Neubergers benannt.

Das Ende der Teilung Berlins mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 eröffnete auch der Stadt Berlin neue Möglichkeiten für Sportereignisse. Am 1. Januar 1990 fand der erste Gesamtberliner Neujahrslauf statt. Neben vielen internationalen Gästen nutzten zahlreiche Ost- und West-Berliner die Chance, an diesem Lauf durch beide Teile der Stadt teilzunehmen. Prominente Gäste dieser Veranstaltung für Freizeitsportler waren der Regierende Bürgermeister West-Berlins Walter Momper, der Oberbürgermeister Ost-Berlins Erhard Krack sowie der Präsident der Internationalen Leichtathletik-Föderation Primo Nebiolo. Die Gewinner des Neujahrslaufs 1990 waren vier Männer aus West-Berlin, Teltow, London und Paris, die Hand in Hand ins Ziel liefen und durch diese Geste den Freundschafts- und Einheitsgedanken dieses sportlichen Ereignisses unterstrichen.
Der Neujahrslauf ist für viele Teilnehmer ein Anlass, die Grenzöffnung auf sportliche Weise zu begrüßen. Ein Telnehmer äußert gegenüber "Sport aktuell":
"Wir sind aus dem Saarland, aus St. Wendel kommen wir. Wir wollen hier die Grenze überlaufen. Ost-West-Deutsche Freundschaft!"
Am 30. September 1990 wurde der erste Internationale Berlin-Marathon mit gesamtdeutscher Beteiligung ausgetragen. Erstmals führte die Strecke von der Straße des 17. Juni durch das Brandenburger Tor in die Ost-Teile der Stadt. Der Berlin-Marathon stellte in diesem Jahr mit 25.000 Läufern aus 61 Nationen einen Teilnehmerrekord auf. Das sportliche Ereignis rief großes mediales Interesse hervor und wurde live in die ganze Welt ausgestrahlt. Berichterstatter Dirk Thiele kommentierte:
„Menschenmassen über Menschenmassen und für jeden ist es doch bestimmt ein besonderes Gefühl, an diesem Tag diese Stätte zu passieren. Das ist nicht irgendein Marathon, das ist einer der besonders von Emotionen geprägt ist.“

Auf dem Müggelsee in Berlin fand am 8. April 1990 der „Frühlingscup“, eine deutsch-deutsche Segelregatta in den olympischen Bootsklassen, statt. Die letzte Segelregatta auf dem Müggelsee mit einer Beteiligung aus beiden Teilen Deutschlands hatte es laut der Berliner Zeitung vom 9. April 1990 kurz vor dem Bau der Berliner Mauer im Mai 1961 gegeben.
Die 102. Deutschen Schwimmmeisterschaften, die vom 8. bis 11. November 1990 in der Münchner Olympia-Schwimmhalle ausgetragen wurden, konnten erstmals seit 1948 mit gesamtdeutscher Beteiligung stattfinden.

Literatur
Liedtke, Klaus (Hrsg.): Sportjahr 1991. Die Saison von Sommer '90 bis Herbst '91, Hamburg 1991.
Kluge, Volker: Das Sportbuch DDR, Berlin 2004.
Jeske, J. Jürgen; Haffner, Steffen; Reinsch, Michael (Hrsg.): Das F.A.Z.-Sportbuch 90/91, Hamburg 1990.
Leske, Hanns: Enzyklopädie des DDR-Fußballs, Göttingen 2007.
Barsuhn, Michael; Braun, Jutta; Teicher, Hans Joachim: Die Chronik der Sporteinheit. Vom Mauerfall bis zur Aufnahme der fünf neuen Landessportbünde am 15. Dezember 1990 in den Deutschen Sportbund, Frankfurt am Main 2006.
Weise, Klaus: Sport und Sportpolitik in der DDR zwischen Anspruch und Realität, Berlin 2006.
Neues Deutschland, Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Ausgaben aus dem Jahr 1990.
(aw)